Duftgedächtnis und Parfum
Geschrieben von Glenn Lauritz Andersson & Denis Vasilije, Duftexperten
Haben Sie sich schon einmal gefragt, was die Beziehung zwischen Ihnen und einem Duft ausmacht, wenn Sie intuitiv ein Parfum wählen, das Ihnen gefällt? Oder warum Sie sich mit manchen Düften überhaupt nicht identifizieren können? Schauen wir uns an, wie Parfums unsere Sinne beeinflussen, indem sie Assoziationen zu Dingen wecken, die wir erinnern – und wie Sie selbst Erinnerungen bei anderen schaffen können, indem Sie den richtigen Signaturduft finden.

Vielleicht haben Sie es schon erlebt – Sie riechen einen Duft, und plötzlich entstehen Bilder in Ihrem Inneren: Erinnerungen aus der Kindheit oder frühere Erlebnisse tauchen auf. Vielleicht verbinden Sie einen Duft sogar mit einer bestimmten Person oder einem Ort. Genau hier kommt unser Geruchssinn ins Spiel – unser mit Abstand mächtigster Sinn, der Geschmack, Sehen und Hören in seiner Fähigkeit zur Assoziation übertrifft. Das liegt daran, dass Gerüche eng mit unserem Gedächtnis verknüpft sind. Wenn das Duftgedächtnis keine Verbindung findet, versucht es, selbst eine zu schaffen – positiv oder negativ, je nach unseren Erfahrungen. Deshalb mögen oder lehnen wir verschiedene Düfte ab. Eine Note oder einzelne Ingredienz kann völlig unterschiedliche Reaktionen bei verschiedenen Menschen hervorrufen – und genau das macht Parfums so spannend und unvorhersehbar.
Man sagt, unser erster starker Eindruck sei der Duft unserer Mutter – unser erster intimer Kontakt, der laut manchen Forschern tief in unserem Duftgedächtnis verankert bleibt. Danach begleitet uns der Geruch durchs Leben. Vielleicht erinnern Sie sich an den Duft in den Schulgängen, an den Geruch von Großmutters Haar und Kleidung, an das Parfum Ihrer ersten Liebe oder an die salzige Luft am Strand, als Sie als Kind im Meer badeten. Vielleicht erinnern Sie sich an den Duft Ihres Vaters, wenn er sich im Bad Aftershave auftrug. Manchmal wählen wir instinktiv ein Lieblingsparfum, das uns repräsentiert – etwas, das sich vertraut und positiv anfühlt, ohne dass wir genau wissen, warum. „Das bin ich!“ – es wird zu Ihrem sogenannten Signaturduft.
Parfums mit starker Assoziationskraft
Es gibt auch Parfums mit einer sehr ausgeprägten Ausdruckskraft – Düfte, die mit der Absicht geschaffen wurden, ein bestimmtes Gefühl hervorzurufen oder Sie an einen bestimmten Ort zu versetzen. Ein Duft mit einer Botschaft und einer Geschichte, die erzählt werden soll. Deshalb gibt es Aromatherapie und auch die Beduftung von Räumen, etwa in Geschäften. Mit einem Duft können Sie eine Stimmung erschaffen. Das erklärt auch, warum wir ein bestimmtes Parfum – vielleicht sogar eine bestimmte Marke mit einer eigenen Identität – einem anderen vorziehen. Wir fühlen uns mit verschiedenen Dingen verbunden und möchten uns mit bestimmten Düften identifizieren. Außerdem passen verschiedene Düfte besser zu bestimmten Momenten und Anlässen als andere.
Nehmen wir als Beispiel Penhaligon’s bekannte Fougère-Komposition „Sartorial“. Die britische Marke wollte den Geruch einer Schneiderei nachempfinden – in diesem Fall war Parfümeur Bertrand Duchaufour sogar von einem ganz bestimmten Atelier inspiriert: Norton & Sons in London. Mit komplexen Noten von Eichenmoos, Leder, Gewürzen, Tonkabohne und Lavendel (um nur einige zu nennen) wurde bewusst ein olfaktorisches Bild aus Metall, Nadelölen, süßem Leder und Tabakrauch geschaffen. Selbst das Etikett wurde mit Nadel und Faden gestaltet, um die Idee zu betonen. Dies ist ein maskuliner Duft, der sowohl dem naturverbundenen Typ als auch dem eleganten Gentleman im englischen Pub steht – beliebt bei Männern, die klassisch und „old school“ duften möchten.
Der Promi-Faktor als Identifikation
Wenn wir schon von klassischen Parfums sprechen, darf man Marken wie das italienische Haus Acqua di Parma kaum außer Acht lassen. Das Originalparfum „Colonia“ wurde seit seiner Einführung im Jahr 1916 von zahlreichen männlichen und weiblichen Hollywoodstars getragen. Mit seinen Zitrus- und Puderakkorden ist es typisch für viele ältere Colognes und weckt oft Erinnerungen an sonnige Urlaubstage an der Riviera – ein Klassiker, der auch heute noch von Liebhabern frischer, zeitloser Düfte geschätzt wird, in denen die Zitrusnote im Mittelpunkt steht.
Gerade der Promi-Faktor spielt eine große Rolle dabei, wie wir uns mit einem Duft identifizieren – oder mit ihm eine bestimmte Identität ausdrücken wollen. Das traditionsreiche britische Haus Floris nutzt diesen Effekt gezielt, indem es seine Parfums mit historischen Persönlichkeiten verknüpft: Winston Churchill mit „Special No. 127“ oder James Bond mit „No. 89“ (übrigens einer von Ian Flemings Favoriten). Diese Düfte sprechen Männer an, die sich mit Geschichte verbunden fühlen und klassischen Charme mit ihrer Duftwahl ausdrücken möchten. Die renommierte Nischenmarke Creed spielt auf ähnliche Weise mit der Faszination des Prominentenstatus – ihre Parfums wurden von zahlreichen Stars getragen, darunter Robert Redford und Richard Gere mit dem Klassiker „Green Irish Tweed“. In der Damendivision finden sich ähnliche Referenzen, etwa „Millesime Fleurissimo“, das eigens für Grace Kellys Hochzeit kreiert wurde.
Ungewöhnliche und charakterstarke Duftnoten – Natur und Gourmand
Typisch für den Nischenmarkt sind Parfums mit einem schmaleren, oft experimentelleren Charakter. Mit ihren teils ungewöhnlichen Noten und Inhaltsstoffen regen sie die Fantasie an und wecken persönliche Assoziationen – manchmal bis an die Grenze des Verspielten oder gar Provokativen. Das italienische Familienunternehmen Profumum Roma verwendet in seinen Düften einen außergewöhnlich hohen Anteil an reinen Ölen. Sie werden als sehr natürlich wahrgenommen – fast schon wie olfaktorische Naturerlebnisse. Der kräftige Duft „Thundra“ – ein Beispiel aus der breiten Kollektion – vermittelt das Gefühl, sich im Herbstwald zu befinden: feuchte Erde, Pilze und verwelkte Blätter. Nicht jedermanns Sache, aber ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Düfte den Träger an einen physischen Ort versetzen können, indem sie bestimmte Duftgedächtnisse aktivieren.
Eine Zutat, die besonders starke Emotionen hervorrufen kann – je nach Herkunft und Verwendungsweise – ist das Oud, das kostbare Öl des exotischen Adlerholzbaums. Manchmal wird diese Note nur eingesetzt, um die Basis eines Parfums zu vertiefen. In ihrer reinen, dominanten Form jedoch erzeugt sie ein überwältigendes Erlebnis – perfekt für jene, die sich mit etwas Exotischem identifizieren oder Aufmerksamkeit erregen möchten. Das Ergebnis kann extrem und fast animalisch sein, mit Assoziationen von Erde, Leder oder Stall – Düfte mit Charakter, nichts für Zurückhaltung.
Einige Beispiele, die besonders starke Emotionen und Erinnerungsbilder hervorrufen, sind japanische Parfums von Di Ser. „Kyara“ etwa nutzt eine seltene, heute fast ausgestorbene Oud-Art, die ein olfaktorisches Bild von feuchtem Holz zeichnet – der Geruch erinnert an ein Wohnzimmer aus den 70er Jahren oder an eine verschlossene Sommerhütte nach Monaten der Stille. Für viele ein vertrautes, nostalgisches Gefühl, das an Kindheit erinnert. „Hasunoito“ desselben Hauses ist weitaus polarisierender: ein warmer, tierischer Duft mit Noten von Heu und Stall, der Erinnerungen an Ziegen oder Bauernhöfe weckt. Düfte für Menschen, die sich selbst herausfordern und ein Statement setzen wollen – sicherlich nichts für Liebhaber dezenter Aromen.
Ein weiteres starkes Duftgedächtnis ist das, das mit Essen verbunden ist – sogenannte Gourmand-Düfte, die oft in eine süßere Richtung gehen. Hier gibt es viel Spannendes zu entdecken für alle, die solche Assoziationen lieben. Xerjoffs „Cruz del Sur II“ wird von vielen als olfaktorische Hommage an das beliebte Sommereis „Solero“ beschrieben – mit Noten von Mango, Vanille und einer kühlen, cremigen Süße, die fast spürbar ist. Noch extravaganter ist „One Umbrella For Two“ der französischen Marke Floraïku, die von japanischer Kultur inspiriert ist. Mit edlem grünem Tee als Hauptzutat und der Süße schwarzer Johannisbeeren entsteht hier ein unvergesslicher Eindruck – wie frisch gebackene Sahnetorte! Diese Düfte sind nicht immer leicht zu tragen, werden aber oft gewählt, um puren Genuss zu erleben – oder als mutige Abendparfums, die Selbstbewusstsein und Sinnlichkeit ausstrahlen.
Mit anderen Worten – haben Sie keine Angst davor, Ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen und den Duftgedächtnissen zu folgen, die entstehen, wenn Sie nach Ihrer persönlichen Signatur suchen. Welche Assoziationen werden bei Ihnen lebendig, wenn Sie einen Duft ausprobieren? Wer möchten Sie sein – und in welchem Moment? Öffnen Sie Ihre Sinne – und vielleicht öffnet der richtige Duft eine Tür zu Ihrer Persönlichkeit, von der Sie noch gar nichts wussten.